Aylan Kurdi. Zweiter September 2015. Sein Tod wurde zum Symbolbild der Flüchtlingskriese. Ein kleiner Junge kurdischer Abstammung flüchtet mit seiner Mutter vor dem Krieg. Die Geschichte mit dem Gummi-Schlepperboot kennt jeder, doch er zeigte mit seinem Tod seine eigene Geschichte. Ein Kind sollte kein Teil dieser Geschichten sein, doch Aylans Leiche wurde an der Mittelmeerküste angeschwemmt gefunden. Lieber Aylan, hier ist eine kleine Kurzgeschichte für dich. Deine Geschichte werde ich niemals vergessen und mit deinem Namen mich immer an alle Kinder erinnern, die keine Kinder sein durften.
Eine Metamorphose auf dem Gummiboot
Aylan ist mit seiner Familie auf einem Schlepperboot. Wie viele anderen aus seiner Heimat flüchtet er vor dem Krieg. Sein Vater hat es schon geschafft und jetzt ist er mit seiner Mutter, seinem zwei Jahre älteren Bruder und etwa 30 anderen Personen auf dem Weg nach Europa. Mit seinen drei Jahren hat er schon vieles erlebt. Er lernte Grausamkeiten kennen, bevor er diese benennen konnte. Spiele und Märchen schafften es nie, die surreale Realität auszublenden. Er ist ein Kind. Er hat Angst. Obwohl er bis jetzt nie die Möglichkeit gehabt hat, sich wie ein Kind zu verhalten, macht er das, was alle Kinder tun, wenn sie Angst haben. Er weint. Seine Mutter versucht ihn zu beruhigen und sagt ihm, dass alles bald vorbei ist und er nicht Angst haben soll. Aylan verspricht ihr, tapfer zu bleiben. Auf dem Boot sind Menschen mit verschiedensten Geschichten und einer wichtigen Gemeinsamkeit: sie flüchten alle für eine bessere Zukunft. Die Meldungen besagten, dass ein Sturm auftauchen sollte, doch eine andere Möglichkeit gab es nicht. Aylans Mutter fragt sich, wann die Schwimmwesten wohl ausgeteilt werden. Noch weiss niemand, dass es gar keine Schwimmwesten gibt. Sie gelangen in den Sturm und der Sturm wird immer stärker, das Boot schwankt immer heftiger hin und her. Aylan hat Angst, aber er weint nicht, denn er hat seiner Mutter versprochen, tapfer zu bleiben, und er hält sein Versprechen. Das Ziel des Schlepperbootes ist Griechenland und nun sind sie auf dem Gewässer der griechischen Götter gelandet. Das Boot kippt um. Geschrei und hoffnungslose Hilferufe verschwinden nach und nach in den Wellen. Die Götter der Hoffnung und des Friedens sehen Aylan und spüren seine Tapferkeit. Er bleibt tapfer, nicht nur um sein Versprechen zu halten, sondern weil er nun wirklich keine Angst mehr hat. Ohne Schutz schwimmen die Menschen nun im kalten und salzigen Wasser des Mittelmeeres und versuchen wieder zu überleben. Auf der Flucht vor dem Tod müssen sie nun nochmals vor dem Tod flüchten. Aylan nimmt seine Umgebung nicht mehr wahr, denn er versinkt in seiner Fantasie. Je mehr Wasser in seine Lungen gelangt, umso realer scheint sein Traum von einer Rettung zu sein. Nicht eine Rettung durch andere Boote, sondern eine, in der er der Held ist. Eine Rettung, in der er seine Familie auf seinen Flügeln in eine bessere Zukunft fliegt. Die Götter sind gerührt, sie spüren Aylans Mut, Aylans Liebe und seine Furchtlosigkeit. Die Götter verwandeln Aylan in eine wunderschöne weisse Taub, eine mit einer solchen Grösse, die alle Flüchtenden in Sicherheit fliegen kann. Aylan soll sein Traum erfüllen und alle Flüchtende vor dem Ertrinken retten können. Auf seinen riesigen Flügeln halten sich alle fest und Aylan fliegt sie an einen wunderschönen Ort ohne Krieg, Hunger und Not. Ein Ort, wo es kein Privileg ist, als Kind wie ein Kind zu leben.