Der sechste Jahrestag des Genozids an Jesiden

Die Jesiden sind eine seit Jahrhunderten verfolgte ethnisch-religiöse Minderheit, die sich zum Teil auch als ethnische Kurden bezeichnen. Die meisten sprechen das kurdische Kurmandschi und siedeln vor allem im Norden des Irak und im Norden Syriens. Vor dem Beginn des Angriffs am 3. August 2014 lebten rund eine halbe Million Jesiden im Irak.

Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) hatte 2014 begonnen, Jesiden systematisch zu verfolgen und zu töten. Viele Frauen wurden verschleppt und versklavt. Am 3. August 2014 überfiel die Terrormiliz das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden in Sindschar und ermordete bis zu 10.000 Menschen. Der Genozid war systematisch : Jesidische Männer und Jungen über 12 Jahre wurden zusammengetrieben und von den Frauen und Kleinkindern getrennt. Es sind mehr als 70 jesidische Massengräber entdeckt worden.

Bis zu 7000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, von denen die meisten unter Todesandrohung zum Islam konvertierten und versklavt wurden. Wir reden hier von tausenden traumatisierten Menschen, von einem Genozid, von Versklavung und systematische Vergewaltigung, und das alles geschah vor wenigen Jahren. Heute vor 6 Jahren begann ein Albtraum für Hunderttausende von Menschen, mehr als 360.000 Jesiden wurden aus ihrer Heimat vertrieben und rund ein Drittel lebt immer noch in Flüchtlingslagern. Heute sind bis zu 3.000 jesidische Frauen und Mädchen in IS-Gefangenschaft.

Eine Überlebende und Heldin: Nadia Murad

Nadia Murad

Nadia Murad ist nicht nur ein Opfer dieser grausamen Geschichte, sondern auch eine Heldin. Am 15. August 2014 verliert Nadia Murad ihre 6 Brüder und ihre Mutter. Drei Monate lang ist sie in Gefangenschaft des islamischen Staates und wird gefoltert und immer wieder sexuell missbraucht. Seit ihrer Flucht nach Deutschland ist sie die erste Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel der Vereinten Nationen und erhielt für ihren Einsatz 2018 den Friedensnobelpreis. Sie setzt sich für die internationale Strafverfolgung der IS-Verbrechen und der Anerkennung des Völkermords an Jesiden ein.

„Ich habe in den letzten Jahren einige Preise bekommen – inklusive dem Friedensnobelpreis, für den ich unendlich dankbar bin. Aber: Der größte Preis wäre für mich, wenn der IS endlich besiegt und vor Gericht gestellt würde. Für den Völkermord und die furchtbaren Dinge, die er getan hat.“

Nadia Murad während ihrer Rede bei der Bambi-Preisverleihung

Die 27-Jährige schrieb mit Jenna Krajeski ihre Biografie: Ich bin eure Stimme: Das Mädchen, das dem Islamischen Staat entkam und gegen Gewalt und Versklavung kämpft. Mit ihrer Anwältin Amal Clooney setzt sie sich immer noch für Gerechtigkeit ein.

Nadia Murad- Ich bin eure Stimme

Nach all diesen Grausamkeiten sollte Nadia Murad sich eigentlich nicht für Gerechtigkeit einsetzen müssen. Nach einem Genozid sollte sich niemand mehr bemühen müssen, die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Die Weltöffentlichkeit sollte schon längst aufgehört haben, die Augen vor den Gewaltverbrechen des Islamischen Staates zu schliessen. Leider trauern wir nur wenige Minuten, sehen sobald jemand «Naher Osten» sagt ein paar Bomben als Symbolbild vor den Augen, und leben weiter. Das Leiden der jesidischen Bevölkerung sollte viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhalten haben. Die mutige Nadia Murad ist wortwörtlich die Stimme von tausenden anderen Frauen und Mädchen, die nicht nur an einem Gedenktag gehört werden sollte, sondern an jedem einzelnen, bis Gerechtigkeit für alle Opfer eintritt.

Nein, nicht nur bis dann. Unsere Geschichte wurde schon viel zu oft Zeuge von Barbarei und Unmenschlichkeit. Die Geschichten wie die von Nadia Murad dürfen niemals vergessen werden, damit sie hoffentlich Geschichten bleiben und nie mehr in einer Biografie erzählt werden. Der 3. August ist ein Gedenktag und sollte hoffentlich auch so bleiben.  Am 15. Juni 2020 warf die türkische Regierung über dem Jesiden-Gebiet im Irak Bomben ab. Das Schweigen der Welt trägt der Gerechtigkeit nichts bei. Denn wie es einst Martin Luther King sagte: “ Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.“

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