Vor sieben Jahren begann ein Leiden für tausende von Menschen. Eine Qual, ein nichtendender Schmerz, die Traumatisierung einer gesamten Volksgruppe.
Der 3. August gilt als Jahrestag des Genozids an den Jesiden, da 2014 an diesem Tag der Islamische Staat die Region Sindschar, das grösste Siedlungsgebiet der jesidischen Bevölkerung, im Norden des Iraks überfiel. Noch heute leiden Jesiden unter verschiedensten Grausamkeiten, da der Genozid noch andauernd ist und noch längst nicht alle Jesiden gerettet sind.
Wer sind die Jesiden?
Jesiden sind eine ethnisch – religiöse Minderheit im Nahen Osten, die sich zum einen als ethnische Kurden bezeichnen und zum anderen als eine eigenständige Ethnie. Weltweit leben heute rund eine Millionen Jesiden.
Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion. Der Monotheismus beschreibt Religionen, die nur einen allmächtigen Gott anerkennen. Melek Taus, auch Engel Pfau genannt, gilt nach jesidischem Glauben als ein von Gott geschaffener Engler, der durch einen blauen Pfau symbolisiert wird und im Zentrum des Jesidentums steht.

Der Pfau- Symbol für Melek Taus
Das Jesidentum besitzt keine heilige Schrift. Der Glaube wurde seit etwa dem 12. Jahrhundert mündlich überliefert. Aufgrund der rein mündlichen Überlieferung werden Jesiden teilweise von Mitgliedern anderer Religion, unter anderem vom Islamischem Staat, als «Ungläubige» und «Teufelsanbeter» bezeichnet, was zugrunde hat, dass das jesidische Volk seit Jahrhunderten verfolgt wird.
Nach der religiösen Tradition der Jesiden müssen beide Elternteile Jesiden sein, damit das Kind dem jesidischen Glauben angehören kann. Es ist nicht möglich, zum Jesidentum zu konvertieren.

Das Siedlungsgebiet der Jesiden
Sindschar galt Jahrzehnte lang als grösstes Siedlungsgebiet der jesidischen Bevölkerung. Das Gebirge namens «Dschabal Sindschar» rund um diese Region war nicht nur das Zuhause für Jesiden, sondern ermöglichte auch eine Erwerbsquelle für das jesidische Volk, da diese mehrheitlich von einer Bauern- und Hirtenkultur lebten.
Der Genozid
Die Geschichte des Islamischen Staates, der Täter des Genozids an Jesiden und somit die Mörder, ist eine komplizierte und lange Geschichte, auf die ich nicht detailliert eingehen kann. Wichtig für den Verlauf ist jedoch, dass die Stärkung des IS im Irak vorallem mit dem US-Rückzug im Jahr 2011 anfing. Der IS ist eine extremistische salafistische Terrororganisation.
Der Salafismus allgemein ist eine extremkonservative Strömung des Islam. Der IS übernahm 2014 mehrere nordirakische Städte, darunter aus Mossul, die zweitgrösste Stadt im Irak, wo die christliche Minderheit vertrieben wurde. Die DPK, eine Partei und Milizarmee der Autonomen Region Kurdistan im Irak, war zu dieser Zeit im Sindschar stationiert.
Am 3. August vor 7 Jahren zog sich die Milizarmee der DPK aus der Region Sindschar zurück, woraufhin die IS-Terroristen in das traditionell jesidische Gebiet einmarschierten. 30‘000 Jesiden wurden ohne ausreichend Wasser und Nahrung im nordirakischen Sindschar Gebirge eingesperrt. 50’000 Jesidinnen und Jesiden konnten von der YPG, der kurdischen Milizarmee aus Syrien, innerhalb der ersten Woche nach Syrien gerettet werden.
Diejenigen, die nicht gerettet werden konnten, wurden systematisch in drei Gruppen eingeteilt: Frauen und Kinder, Jungen und Männer über 12 Jahre und Jungen zwischen 7 und 12 Jahren.

Das Leiden der jesidischen Frauen
Jesidische Frauen waren besonders von den Gräueltaten der Terrororganisation «Islamischer Staat» betroffen. Frauen, die älter als 60 Jahre alt waren, wurden bei Massenermordungen umgebracht. Mit gynäkologischen Zwangsuntersuchungen wurden Jungfrauen festgestellt, da später eine Kategorisierung je nach Zivilstand, Alter und Attraktivität folgten.
Die Mehrheit der gefangengenommenen Frauen wurden auf Sklavenmärkten individuell verkauft. Nach den Berichten des UN- Menschenrechtsrats waren die jüngsten versklavten Kinder 7 bis 9 Jahre alt. Der Sklavenhandel von Frauen folgte in Länder wie Syrien, Ägypten, Tunesien, Türkei und Kasachstan. Der Verkauf ereignete sich zu einem Preis von 200-1500USD, während der „Rückverkauf“ an die Familien zur Rettung der Frauen 10’000 – 40’000 USD betrug. Jesidische Frauen und Mädchen über neun Jahren waren während ihrer IS-Gefangenschaft brutaler sexueller Gewalt ausgesetzt. Jeglicher Widerstand wurde mit Gruppenvergewaltigungen bestraft. Nebst der täglichen Vergewaltigung wurden jesidische Frauen gezwungen, für den Haushalt des IS-Terroristen zu sorgen.

Nadia Murad
Eine junge Frau, die trotz ihrer tragischen Lebensgeschichte zur Hoffnungsträgerin für tausende von Menschen wurde. Am 15. August 2014 verliert Nadia Murad ihre sechs Brüder und ihre Mutter. Ihr Schicksal gleicht denjenigen anderer jesidischen Frauen: drei Monate lang erlebt sie unter Gefangenschaft des IS schwerste Folter und sexuelle Gewalt.
Seit ihrer Flucht nach Deutschland ist sie die erste Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel der Vereinten Nationen. Aufgegeben hat sie nicht und setzt sich für die internationale Strafverfolgung der IS-Verbrechen und für die Anerkennung des Völkermords an Jesiden ein.
Für ihren Einsatz erhielt sie 2018 den Friedensnobelpreis. Die 27-Jährige schrieb mit Jenna Krajeski ihre Biografie: Ich bin eure Stimme: Das Mädchen, das dem Islamischen Staat entkam und gegen Gewalt und Versklavung kämpft.

Der folgende Abschnitt aus ihrem Buch ist nicht nur herzzerbrechend, sondern beschreibt eine unbeschreibliche Situation, die Beobachter wie wir niemals verstehen können, doch es dennoch versuchen müssen. Nadja möchte das letzte Mädchen sein, die diese Wörter, diese Gefühle, diese Qual und diesen Kampf versteht.


Ich wünschte, Nadja würde diese Wörter nicht verstehen. Ich wünschte, Nadja würde wie ich diese zwei Seiten nur gelesen haben, nicht geschrieben, nicht verstanden und schon gar nicht empfunden haben.
Nadja möchte das letzte Mädchen sein mit einer Geschichte wie ihrer. Ich wünschte, sie müsste nicht das letzte Mädchen sein. Ich wünsche mir trotzdem, dass sie das letzte Mädchen ist, obwohl das schon heute, sieben Jahre nach dem Elend, leider unmöglich ist.

Hier findest du den Link zum zweiten Artikel: Wieso der Genozid an Jesiden ein Völkermord ist.
Der Völkermord an das jesidische Volk und die UN-Völkermordskonvention – offengesagt
Nadia Murads Organisation:
•Nadia’s Initiative (nadiasinitiative.org)
Quellen
- ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.
- Die Jesiden | bpb
- Völkermord an den Jesiden (21. Jahrhundert) – Wikipedia
- Die Jesiden fünf Jahre nach dem Genozid | Welt | DW | 01.08.2019
- Irak: Die Jesidinnen warten noch immer auf Gerechtigkeit (nzz.ch)
- Êzîdî kadınların çığlığı… – Yeni Özgür Politika (ozgurpolitika.com)