Tausende Flüchtlinge sind seit mehreren Tagen zwischen den europäischen Staaten Polen, Litauen und Belarus im Offenen gefangen. Eine humanitäre Krise zeichnet sich hinter Drähten an der polnischen Grenze ab. Das Geschehen lässt Flüchtlinge an ihren Zukunftsplänen und Glauben an ein friedliches Europa voller Freiheit zweifeln.
Der letzte Diktator Europas: Alexander Lukaschenko
Alexander Lukaschenko ist seit 1994 der Präsident von Belarus. Sein autoritäres und repressives Regime gilt als letzte Diktatur Europas. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 löste das mutmasslich gefälschte Wahlergebnis landesweite Proteste aus. Lukaschenko schlug mit Brutalität zurück. Nach einem UN-Bericht des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte wurden 450 Fälle von Folter und Misshandlungen dokumentiert, die Teil von Lukaschenkos Reaktion auf die Massenproteste waren.

Ein Mann, der für seinen eigenen Profit zu allen Mitteln greift, verwendet nun schutzsuchende Flüchtlinge als lebendige Munition. Tausende von Migranten, nach polnischen Medien bis zu 4’000 Tausend, wurden unter Aufsicht der belarussischen Behörden an die Grenze zwischen Belarus, Polen und Litauen gebracht. Weder die Einreise in die EU noch die Rückkehr nach Belarus wird den Flüchtlingen nun gewährt. Bei minus Temperaturen unter dem Gefrierpunkt warten nun Tausende von Flüchtlingen, die mehrheitlich aus dem Nahen Osten stammen, auf eine Lösung.
Lukaschenkos erbarmungslose Politik lässt mich aus der Ferne in meiner warmen und gemütlichen Wohnung erschaudern, und ein 14-jähriges Kind wortwörtlich erfrieren. Die an die Grenze gestrandeten Flüchtlinge leiden ohne Unterkunftsmöglichkeit stark unter den schlechten Lebens- und Wetterbedingungen. Ein 14-jähriger kurdischer Junge erfror und starb infolge der tiefen Temperaturen im Grenzgebiet. Seine Leiche wurde von belarussischen Soldaten abtransportiert. Acht weitere Menschen starben ebenfalls wegen der extremen Kälte und den fehlenden Existenzgrundlagen. Inoffizielle Quellen befürchten höhere Opferzahlen und einen Anstieg der Todesfälle in den nächsten Tagen unter den gegebenen Bedingungen.
Ein Kampf zwischen Polen und Belarus
Polen und Belarus haben in den vergangenen Tagen Journalisten verweigert, das Grenz- und Krisengebiet zu betreten. Beide Staaten geben sich gegenseitig die Schuld für die humanitäre Krise. Trotz der fehlenden Möglichkeit auf Informationsbeschaffung erreichen nun Berichte über Gewalt an Flüchtlinge die Medien. Die Sicherheitskräfte beider Staaten werden dafür verantwortlich gehalten. In den sozialen Medien wurden Videos zu auf Flüchtlinge schiessenden Sicherheitsbeamten geteilt.
Die polnische Regierung zeichnet sich ebenfalls mit einer harten Haltung gegenüber den Migranten aus. Freiwilligen Hilfskräften und kirchlichen Ärzten wurde verboten, das Krisengebiet zu betreten. Die tiefen Wälder des Ostens werden zum Schauplatz der Machtdemonstration. Was genau an der Grenze passiert, ist schwer einzuschätzen, weil die Nachbarsstaaten mit Hetzereien und einer Informationsblockade einen Kampf ums eigene Image führen. Die Krise wirft verschiedenste Fragezeichen auf und lüftet einige geheime Geschäfte der Staaten Polen, Belarus und Litauen. EU-Beamte halten Belarus für die Krise verantwortlich, da die Regierung anscheinend Flüchtlinge eigenhändig aus dem Nahen Osten ins Land fliegen lässt und dann an die Grenzen schleust. Dem gegenüber stehen Berichte von Migranten, die behaupten, nach der Grenzüberquerung in die EU-Staaten Polen und Litauen körperlich misshandelt zu werden. Viele Flüchtlinge seien gezwungen worden, sich zurück nach Belarus zu begeben. Trotz internationaler Empörung und der Aufforderung der UN-Menschenrechtsbeauftragter Michelle Bachelet gibt es seitens keiner Partei Anzeichen dafür, dass Hilfsorganisationen, Journalisten oder medizinische Fachkräfte in den nächsten Tagen Zugang zum Grenzgebiet gewährt wird.
Der Informationskrieg führt auch dazu, dass die genaue Zahl der Flüchtlinge, die die Grenze nach Polen überqueren, unklar bleibt. Verstorbene, verhungerte oder im Wald verlorene Menschen werden nicht registriert. Zahlen und Geschichten zu Flüchtlingen an der Grenze von Polen zu Belarus gehen im unmenschlichen Kampf in der Mitte des europäischen Kontinentes verloren.
Lukaschenko droht weiter
Am 11.11 teilte Lukaschenko in einer im Fernsehen übertragenen Sitzung der Regierung mit, dass im Falle einer Verschärfung von Sanktionen seitens der EU die Erdgas-Pipeline von Russland nach Westeuropa abgeschaltet werden könnte. Mit seinem Vorbild und bestem Freund Putin haben die autoritären Staatsoberhäupter ein Abkommen über die Patrouille atomwaffenfähiger Bombenflugzeuge an den westlichen Landesgrenzen von Belarus beschlossen.
Lukaschenko verfolgt nicht nur das Ziel, die gegen seine Regierung gerichteten Sanktionen der EU zu vermindern. Um den Nachbarsländern möglichst grossen Schaden anzurichten und die EU in West und Ost zu spalten, verursacht der Diktator eine humanitäre Krise, die auf Kosten ungeschützter Migrantinnen und Migranten geht.

Und jetzt?
Weihnachten naht. Meine Freundinnen und ich haben es zu unserer Mission für den nächsten Monat gemacht, jeden Tag darüber zu reden, ob es dieses Jahr ein schneevolles und weisses Weihnachten geben wird. Mit meiner Gemütlichkeit zu Hause, dem anstehenden Aufbau von Weihnachtsdörfern neben meiner Schule und mit dem Verkauf von Glühwein und Zimtsternen wirkt der Winter nicht mal so kalt. Mäntel und Mützen, Handschuhen und Stiefel, modische Cardigans und jede Menge Hitzequellen: Ich erfriere im Winter nicht. Schnee und Kälte heisst für uns nichts weiteres als Glühwein und Wintersport. Outdoor, im Freien ohne Dach und Zelt, heisst für uns Zeit zum Schlitteln und Ski fahren. Sinkende Temperaturen sind in meinem Leben nur dazu da, die neusten Winterjacken mit passenden Accessoires den Freunden zu präsentieren.
Für mich, als in Europa lebendes Individuum, heisst Winter Leben. Für Menschen, die für diese Wärme, diesen Schutz, diese Freiheit und diese eigentlich fast schon simplen Grundlagen eines europäischen Lebens, welche ich besitze, ihr eigenes von Krieg, Terror und Krisen betroffenes Leben aufgeben, heisst der Winter im europäischen Belarus Tod.
Offen gesagt sollte es so nicht sein. Ein Kind sollte nicht erfrieren, und schon gar nicht bei den selben Temperaturen, bei denen meine Klassenkameraden im Schutz der Wärme des Klassenzimmers noch mit kurzarmigen T-Shirts herumlaufen.
Quellen
https://www.reuters.com/news/picture/migrants-shiver-at-polish-belarus-border-idUSRTXJR0E6
https://www.tagesanzeiger.ch/hunderte-migranten-sind-auf-dem-weg-zur-grenze-nach-polen-255108047342