Abraham Joshua Heschel (1907-1972) war einer der wichtigsten Rabbiner des 20. Jahrhunderts. Als jüdischer Theologe und Philosoph vertrat er die Vorstellung einer Verantwortung der gegenseitigen Befreiung aller leidenden Menschen. Heschel beteiligte sich aktiv an der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Dank seinem vielseitigen Engagement und seiner Lebensauffassung, religiöse Wertvorstellungen mit sozialem Handeln zu verbinden, galt er als einer der führendsten religiösen Gelehrten.
Heschel war mit seinen Werken wie Man Is Not Alone (1951) einer der meist gelesenen jüdischen Theologen und Vertreter des interreligiösen Dialoges.
Kindheit und Jugend
Heschel wurde am 11. Januar 1907 als jüngstes von sechs Kindern in Warschau (Polen) geboren. Seine Eltern Moshe Mordechai Heschel und Reizel Perlow Heschel stammten beide von namhaften europäischen Rabbinern ab. Heschels Vater Moshe Heschel starb 1917 an einer Grippe, als sein jüngster Sohn noch erst neun Jahre alt war. Von seinem Umfeld wurde er schon als Kind aufgrund seiner familiären Herkunft geehrt und war mit bereits 15 Jahren talmudischer Lehrer.
1933 erwarb er seinen Doktortitel an der Universität Berlin und wurde im darauffolgenden Jahr zum Rabbiner ordiniert. Nebst seines Besuches an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin belegte er an der Universität Berlin Kurse der Philosophie und Kunstgeschichte. Der Druck und die Veröffentlichung seine Doktorarbeit mit dem Titel «Das prophetische Bewusstsein» wurden mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 verhindert, weswegen die Arbeit erst 1936 in Krakau (Polen) gedruckt werden konnte. Heschel konnte bereits als Kind die jiddische, hebräische, polnische sowie deutsche Sprache und war 1933 Teil einer jiddischen Dichtergruppe.
Flucht in die USA
Im Jahr 1938 wurde Heschel in Frankfurt in seinem gemieteten Zimmer im Haus einer jüdischen Familie von der Gestapo, der «Geheimen Staatspolizei» des deutschen NS-Regimes, verhaftet und nach Polen ausgewiesen. In Warschau hielt er bis kurz vor dem deutschen Einmarsch in Polen Vorlesungen über jüdische Philosophie und die Tora. Dank der Hilfe von Julian Morgenstern, dem Präsidenten des US-amerikanischem Hebrew Union College, konnte Heschel sechs Wochen vor dem NS-Einmarsch, im Sommer 1939, mit einem Visa zunächst nach London und ein Jahr später nach New York City flüchten.
Heschel verlor seine gesamte Familie aufgrund des nationalsozialistischen Völkermords an Juden. Seine Schwestern Gittel und Devorah Heschel wurden in Konzentrationslagern ermordet . Heschel kehrte nie mehr nach Polen oder Deutschland zurück und schrieb, dass bei einer Rückkehr ihn alles an die Shoa erinnern würde.
Leben in den USA
Als Rabbiner und Vertreter des liberalen Judentums unterrichtete Abraham Heschel an verschiedenen jüdischen Universitäten. Von 1946 bis zu seinem Tod im Jahr 1972 war er Professor für jüdische Ethik und Mystik an der Jewish Theological Seminary of America (JTS) in New York City. 1946 heiratete Heschel die Konzertpianistin Sylvia Straus. Ihre Tochter Susannah Heschel ist ebenfalls eine jüdische Gelehrte und Professorin für Judaistik.

Als Vertreter der amerikanischen Juden nahm er am Zweiten Vatikanischen Konzil der römisch-katholischen Kirche (1962 bis 1965) teil und trug durch seinen Einsatz viel zu den Liturgiereformen bei. Als Liturgiereform wird die Erneuerung römisch-katholischer Gottesdienste unter den Päpsten Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. bezeichnet. Besonderen Einfluss hatte Heschel auf das Konzilsdokument «Nostra Aetate» (übersetzt: «in unserer Zeit»). Aussagen über die sogenannte Judenmisson, der Missionstätigkeiten für die Konvertierung von Juden zum Christentum, wurden von Abraham Heschel als herabwürdigend betrachtet. Diese Aussagen wurden dank Heschels Wirken vom Konzilsdokument gestrichen und die Erkennung des Judentums somit bestätigt. Als Vertreter des interreligiösen Dialogs pflegte Heschel eine freundschaftliche Beziehung zur römisch-katholischen Kirche und insbesondere zum deutschstämmigen Kardinal Augustin Bea.
Heschel und die US-Amerikanische Bürgerrechtsbewegung
Abraham Heschel lernte den Friedensnobelpreisträger, Bürgerrechtler und Pfarrer Martin Luther King Jr. an der National Conference on Religion in Chicago am 14. Januar 1963 kennen. Heschel beschrieb den Kampf gegen Rassismus als eine spirituelle Chance für Amerikaner, um durch ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Rassismus Erlösung finden zu können. Im gleichen Jahr traten King und Heschel am Jubiläumskongress der United Synagogue of America in New York auf. King unterstützte Heschels Kritik an der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in der Sowjetunion, was der Anfang einer Freundschaft und eines gemeinsamen Einsatzes war. Martin Luther King lud Abraham Joshua Heschel im März ein, am Marsch von Selma nach Montgomary für das Wahlrecht der afroamerikanischen Bevölkerung teilzunehmen. Heschel empfand es als spirituell erfüllend, Seite an Seite mit Martin Luther King zu marschieren, und erinnerte sich an das Gefühl des Montgomary Marsches, als würden seine «Beine beten».

Heschel und King setzten sich zu zweit 1967 gegen den Vietnamkrieg ein. Abraham Heschel war als Redner dabei, als am 4. April 1967 King seine berühmte Rede in der Riverside Church gegen den Vietnamkrieg hielt. Heschel beendete seine eigene Rede mit den folgenden Worten: «Ich schließe mit den Worten von Dr. King: ‚Die große Initiative dieses Krieges ist unsere. Die Initiative, ihn zu beenden, muss unsere sein.»
Original in Englisch: “I conclude with the words of Dr. King: ‘The great initiative of this war is ours. The initiative to stop it must be ours’”

King und Herschel vereinten sich zu ihrem gemeinsamen Kampf gegen Ungerechtigkeiten nebst durch ihre Rolle als religiöse Gelehrte auch durch ihre gemeinsame Vorstellung einer kollektiven Verantwortung.
Abraham Joshua Heschel starb am 23. Dezember 1972 mit 65 Jahren in New York City. Seine Philosophie der gemeinschaftlichen Verpflichtung für das Wohlergehen der gesamten Menschheit inspiriert noch heute nicht nur die jüdische Bevölkerung, sondern weltweit Aktivisten mit verschiedensten kulturellen, religiösen und ethnischen Abstammungen.
Heschel verkörperte nicht nur den Kampf gegen Ungerechtigkeiten durch seinen Aktivismus, sondern auch mit seiner Mentalität, trotz allem Leid das Leben in radikalem Staunen zu leben, und somit jeden Tag aufs Neue die Welt und das menschliche Dasein zu bewundern und zu schätzen.

Morgens aufstehen und die Welt auf eine Weise betrachten, die nichts als selbstverständlich ansieht.
Alles ist phänomenal; alles ist unglaublich; behandle das Leben niemals
lässig. Spirituell zu sein bedeutet, erstaunt zu sein.“
Quellen:
https://www.huffpost.com/entry/martin-luther-king-abraham-heschel_b_8929718
https://www.americamagazine.org/issue/618/article/lovingly-observant
https://kinginstitute.stanford.edu/encyclopedia/heschel-abraham-joshua