Pushbacks- Die Gewalt an den Aussengrenzen der EU

Das Wort Pushback (Englisch für «zurückschieben») wurde zum Unwort des Jahres 2021 gewählt. Laut der Jury beschönigt das Wort einen menschenfeindlichen Prozess. Bei Pushbacks geht es um die Zurückdrängung von Flüchtenden an den Aussengrenzen der EU, noch bevor das Zielland erreicht und ein Asylantrag gestellt werden kann. Illegale staatliche Massnahmen zur Zurückschiebung stossen gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention, da Flüchtenden das Recht an den EU-Grenzen einen Asylantrag zu stellen entnommen wird. Ein Rechtsbruch, der an den Aussengrenzen der EU stattfindet, und in deren Zentrum toleriert wird.

957 Asylbewerber, 768 Millionen Euro

Laut der gemeinsamen Recherche sechs grosser europäischer Medienunternehmen ( Lighthouse Reports, Der Spiegel, SRF Rundschau, Republik, the Guardian und Le Monde) war die EU-Grenschutzagentur «Frontex» zwischen März 2020 und September 2021 an der Zurückweisung von mindestens 957 Asylbewerbern in der Ägäis beteiligt. Aus der Investigation kam man zur Erkenntnis, dass die interne Datenbank der Frontex namens «Jora» Aufzeichnungen über die Rückschiebungen enthält. Die Frontex bezeichnen die Pushbacks als «Verhinderung der Ausreise» und definieren diese als Zwischenfälle, bei denen Migranten in Territorialgewässern eines nichteuropäischen Landes von dessen Behörden aufgehalten und an ihren Ausgangspunkt zurückgeschickt werden.

Bei mindestens 22 dieser dokumentierten Pushback-Fälle wurden Asylbewerber während ihrem Fluchtversuch aus Schlauchbooten in griechische Rettungsboote umgesetzt und auf dem Meer zurückgelassen.

Die Frontex (französisch für frontières extérieures = Außengrenzen) ist eine im Mai 2005 gegründete Agentur für operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Europäischen Union.  Mit einem Budget von 758 Millionen Euro ist die Frontex die am stärksten finanzierte EU-Agentur. Regelmässig macht die Frontex Schlagzeilen, da die Agentur mit der griechischen Küstenwache für die illegale Zurückdränung von Migranten zusammenarbeitet. Fabrice Leggeri, ehemaliger Direktor der Frontex (2015-2022) trat am 29.04.2022 von seinem Amt zurück. Nebst den Pushbacks sollen Vorwürfe der Belästigung und des Fehlverhaltens Grund für seinen Rücktritt sein.

Fabrice Leggeri, 2015 bis 2022 Direktor der Frontex

Bereits 2020 wurde bewiesen, dass die Frontex für die illegalen Pushbacks mitverantwortlich ist. Zu den Beweisen gehören beispielsweise Videoaufnahmen, die zeigen, wie ein Frontex-Schiff bedrohlich nahe an ein mit Flüchtenden überfüllten Schlauchboot heran manövriert und Wellen erzeugt, um diese zurücktreiben zu lassen. Die Frontex bestritt die Korrektheit der Videoaufnahmen.

Wieso sind Pushbacks illegal?

Ganz egal, ob die Frontex, die griechische Küstenwache oder EU-Behörden Beweise bestreiten oder nicht: mehrere Investigationen zeigen die systematische Gewalt an den Aussengrenzen der EU auf. Nebst Journalisten hat auch das UNO-Flüchtlingshilfwerk beispielsweise im Jahr 2021 mehrere Hundert Pushbackfälle registriert.

Pushbacks sind keineswegs legal, und dies lässt sich durch das internationale Seerecht oder auch das europäische Asylrecht aufzeigen.

Laut dem internationalen Seerecht müssen Menschen in Seenot gerettet werden. Dadurch, dass Schlauchboote mittels künstlicher Wellen zurückgedrängt oder Migranten auf offenem Meer in stillstehenden Booten zurückgelassen werden, verstossen Pushback-Akteure gegen das internationale Seerecht. Spielraum bietet jedoch die Tatsache, dass Akteure wie die Frontex oder die griechische Küstenwache die Schlauchboote als seetauglich bezeichnen können, um der Rettungspflicht zu entfliehen.

Ein überfülltes Flüchtlingsboot an der lybischen Küste 2015, Quelle: https://www.handelsblatt.com/politik/international/fluechtlinge-im-mittelmeer-die-angst-geht-mit-an-bord/11671718.html

Nach europäischem Asylrecht dürfen Flüchtende an den Aussengrenzen der EU sowie in Hoheitsgewässern ein Asylantrag stellen. Durch Pushbacks werden Migrantinnen und Migranten dieses Recht entnommen, was eine weitere Rechtswidrigkeit ist. Flüchtenden wird jedoch nicht nur in Gewässern, sondern auch an Land das Recht auf Asyl, das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Schutz gewaltsam entnommen.

Fallbeispiel: Kettenrückschiebung in Slowenien und Kroatien

Mit der Hilfe des ECCHR und Blindspots reichte der minderjähriger U.F. im Juli 2022 beim UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Beschwerden gegen Slowenien und Kroatien ein. Grund dafür ist die gewaltsame Kettenzurückschiebung, die aus mehreren Pushbacks von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina besteht. U.F.’s Fall ist der erste derartige juristische Fall gegen die beiden Staaten

Die Menschenrechtsorganisation ECCHR («European Center for Constitutional and Human Rights») unterstützt und führt juristische Verfahren, um gegen Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen. Mithilfe des europäischen und internationalen Rechts behandelt die ECCHR vorallem Fälle, die als Präzedenzfälle geeignet sind, um den internationalen Menschenrechtsschutz voranzutreiben.

U.F. ist ein unbegleitet geflüchteter Minderjähriger aus Myanmar. Nach einem militärischen Angriff auf sein Dorf wurde er von seiner Familie getrennt und musste als 8-Jähriger flüchten. In Bosnien- Herzegowina lebte er ein Jahr lang, da er auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort war. Obdachlos und ohne jegliche Unterstützung wurde er während seinem Aufenthalt in Bosnien-Herzegowina fünfmal von Kroatien gewaltsam zurückgeschoben. Bei einem weiteren Fluchtversuch wurde er von Slowenien zunächst nach Kroatien und dann wieder nach Bosnien-Herzegowina gebracht.

Das ECCHR berichtet über die juristische Verpflichtungen, die Slowenien und Kroatien nicht gerecht geworden sind, wie folgt:

Nach nationalem, europäischem und internationalem Recht wären Kroatien und Slowenien verpflichtet gewesen, eine sachgemäße Altersfeststellung durchzuführen und dem Kindeswohl Vorrang einzuräumen. Tatsächlich ignorierten die zuständigen Beamten das Alter von U.F., es wurde falsch erfasst oder nicht einmal erfragt. Zudem hatte er zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. U.F. macht deshalb in seinen Beschwerden Verstöße gegen Artikel 3, 8, 20(1) und 37 der UN-Kinderrechtskonvention geltend. ECCHR-Partneranwalt Carsten Gericke vertritt U.F. vor dem UN-Ausschuss.

Mithilfe digitaler Beweismittel konnte U.F.’s Fall untermauert werden und zeigt auf, wie systematische gewaltsame Kettenpushback-Prozesse an den Aussengrenzen der EU stattfinden.

Slowenien war in den Jahren 2020 und 2021 für die illegale Kettenrückschiebung von 13’700 Menschen nach Kroatien verantwortlich. All diesen Menschen wurde das Recht auf einen Asylantrag entnommen. Gewaltsame Pushbacks wie die von U.F. verstossen nicht nur gegen das europäische Asylrecht, sondern auch gegen die UN-Kinderrechtskonvention, weswegen die ECCHR hofft, dass Kroatien und Slowenien zur Verantwortung gezogen werden können.

Pushbacks sind eine Gefahr, doch die noch grössere Gefahr ist die Mentalität, die sich hinter diesen schonungslosen Prozessen verbirgt.

Jedes Pushback gefährdet die Freiheit jedes Europäers und jeder Europäerin. Jedes Pushback ist Beweis der Intoleranz in Europa und hat nichts mit Asylpolitik oder Grenzschutz zu tun. Pushbacks beruhen auf eine Denkweise, die Menschen nicht einmal das Recht gibt, sich zu äussern. Wenn nicht einmal der Antrag auf Asyl gestellt werden kann, wenn die EU nicht mal duldet, dass Anliegen auf Sicherheit und Schutz zu Wort kommen, was passiert dann mit Europa?

Wir sperren uns immer mehr ein, werden zu Gefangenen in einem Europa, in der Grundrechte zu Privilegien werden.

Quellen:

https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/kroatien-pushbacks-interview-nikola-kovacevic

https://www.ecchr.eu/fall/pushbacks-un-kinderrechtsausschuss-kroatien-slowenien/

https://www.theguardian.com/global-development/2022/apr/28/revealed-eu-border-agency-involved-in-hundreds-of-refugee-pushbacks

https://www.spiegel.de/ausland/frontex-in-illegale-pushbacks-von-hunderten-fluechtlingen-involviert-a-086f0e5a-0172-4007-b59c-7bced325cc75

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/frontex-chef-fabrice-leggeri-tritt-nach-kritik-zurueck-17992842.html

https://www.ecchr.eu/glossar/push-back/

https://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/pushbacks-in-der-aegaeis-17282003.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

https://de.wikipedia.org/wiki/Pushback_(Grenze)

https://www.swissinfo.ch/ger/alle-news-in-kuerze/-pushback–ist–unwort-des-jahres–2021/47256042

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